Crowdfunding

Crowdfunding

Interview mit Dr. Jermain C. Kaminski (Universität Maastricht) und Prof. Dr. Christian Hopp (BFH Bern)

Wir haben uns mit Jermain C. Kaminski und Christian Hopp zu Crowdfunding ausgetauscht. Beide Forscher haben in den vergangenen Jahren mit Co-Autoren zu Crowdfunding in international anerkannten Journals publiziert.

Jermain C. Kaminski ist Assistant Professor an der School of Business and Economics der Universität Maastricht. Er unterrichtet und forscht in den Bereichen Technology Entrepreneurship und Innovation. Christian Hopp leitet das Institut für Applied Data Science and Finance an der Wirtschaftsfakultät der BFH Bern. Seine Forschungsschwerpunkte sind Entrepreneurial Finance, Digital Finance und Innovationsfinanzierung.

Gründerköppe: Welche Bedeutung kann man Crowdfunding derzeit bei der Finanzierung von Start-ups beimessen und welche Unternehmen sind besonders geeignet für Crowd-funding? Welche Relevanz für dieses Finanzierungsinstrument ist in den kommenden Jahren zu erwarten?

Jermain Kaminski: Im Unternehmenskontext gilt es zunächst zwei Crowdfunding-Typen zu unterscheiden: ‚Reward-Based Crowdfunding‘ und ‚Equity-Based Crowdfunding‘. Im Reward-Based Crowdfunding dient ein Investment in der Regel dazu, das ange-zielte Produkt vorzubestellen. Beispiel: Ein Team von jungen Technikern hat einen innovativen 3D-Drucker entwickelt und startet eine Crowdfunding-Kampagne, um die erste Version ihres künftigen Druckers produzieren zu können. Die Unterstützer des Crowdfundings erhalten – je nach Investitionssumme – einen oder mehrere 3D-Drucker der ersten Stunde. Insgesamt hat das Reward-Based Crowdfunding zwei wesentliche Vorteile für Gründer: Da Vorbestellung und Produktion zeitlich einhergehen, haben Gründer ein kalkulierbares Risiko und erkennen sofort, ob Nachfrage nach ihrem Produkt besteht oder nicht. Zweitens müssen sie zunächst keine Anteile abgeben, und behalten so die volle Kon-trolle über ihr Unternehmen – so zumindest in der Pre-Seed- und Seed-Phase.

Christian Hopp: Weiter gibt es noch Equity-Based Crowdfunding, hierbei werden Investoren am jährlichen Gewinn (und Unternehmenswert) beteiligt, sowie das ‚Donation-Based Crowdfunding‘, hierbei handelt es sich in der Regel um eine Form der Spende für gemeinnützige Ideen. Unsere Forschung konzentriert sich auf erst-genannte Reward-Based Crowdfunding, was in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen hat. Nur um ein Beispiel zu nennen: Die größte Reward-Based Crowdfunding-Plattform ‚Kickstarter‘ hat seit 2009 von 7 m+ Menschen insgesamt 6,5 USDbn eingesammelt, die in 219 k+ erfolgreiche Projektideen geflossen sind. Davon entfallen in etwa 4,5 USDbn auf Projekte im Bereich Technologie, Gaming und Product Design, die den üblichen Startup-Kategorien am nächsten kommen. Man sollte schon sagen, dass es hier im wahrsten Sinne auch viel „Spielerei“ gibt, zum Beispiel erhebliche Summen für neue Brettspiele – gleichzeitig finden sich aber auch Projekte wie Oculus Rift, das VR-Brillen Startup, das nach einem erfolgreichen Funding bei Kickstarter von Facebook akquiriert wurde, die der Apple Watch vorausgehende SmartWatch Pebble, mit 30 USDm+ an Investment in zwei Crowdfunding-Runden, sowie zahlreiche erfolgreiche 3D-Drucker-Kampagnen, in die insgesamt 50USDm+ geflossen sind.

GK: Was sind aus eurer Sicht die Faktoren für eine erfolgreiche Finanzierungsrunde mittels Crowdfunding?

JK: Da sich Crowdfunding mit den transparent abrufbaren Projektseiten zu ei-nem offenen Labor für Innovationsforschung entwickelt hat, kann man hierzu viel sagen. Um ein paar praktische Beispiele aus der eigenen Forschung herauszugreifen: Zum einen ist Gründern zu empfehlen, nicht wie bei manchen Pitch Contests mit einer reinen Idee an den Start zu gehen, sondern zunächst Fakten zu schaffen. Konkret heißt das: Einen Prototyp entwickeln und dem potenziellen Kunden zeigen und erklären, wie dieser funktioniert und für welchen Zweck er gebraucht werden kann. Reine Ideen, Illustrationen und eher typische Business Pitches sind nicht sehr erfolgreich in der Crowd.

CH: In der Kaufpsychologie spielt auch die psychologische Distanz zu einem Pro-dukt eine große Rolle. Insbesondere im Crowdfunding, wo wir mit dem Endprodukt zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung im Prinzip nur auf dem Bildschirm entgegentreten, nutzen wir mentale Modelle, um uns die Nutzung des Produkts vorzustellen. Je plastischer und greifbarer ein Produkt beschrieben und gezeigt wird, je erkennbarer fortgeschritten es in der Marktreife ist, desto größer sind die Erfolgswahrscheinlichkeiten. Wenn man so möchte, ist dies das Äquivalent zum „Demo Day“ bei Frühphasenfinanzierung mit VCs, wo in der Regel auch eher funktionierende Produkte gezeigt werden. Ein weiterer Faktor, der die Kaufentscheidung auch begünstigt, ist, dass das Produkt in den nächsten Wochen oder Monaten geliefert werden kann.

GK: In welchem Verhältnis steht Crowdfunding zu ‚traditionelleren‘ Formen der Start-up-Finanzierung, beispielsweise Venture Capital? Wie kann die Funding Journey nach einer erfolgreichen Crowd-Finanzierung für ein junges Technologieunternehmen weitergehen?

JK: Zunächst einmal sollte man betonen: Es wäre von Crowdfunding abzuraten, wenn das Ziel lautet, im ersten Versuch gleich 500 EURk einzuwerben. Die meis-ten Kampagnen setzen sich bescheidenere Ziele von 50 EURk aufwärts, und werden – wenn das Produkt überzeugt – dann auch nicht selten um ein vielfaches überfinanziert. Sowohl aus einer erfolgreichen – wie auch aus einer erfolglosen – Kampagne können sich natürlich entsprechende Effekte für die Folgefinanzierung ergeben.

Crowdfunding scheint zudem gut geeignet, um Investment-Trends bei kurz- bis mittelfristigen VC-Investments zu bestimmen. Hier liegen zum einen makroökonomische Trends zugrunde, die sowohl Crowd als auch VC betreffen, aber wir wissen aus der Praxis auch, dass VC und CVC den Crowdfunding Markt durchaus beobachten und in Entscheidungen berücksichtigen. Es gibt zudem Erkenntnis-se, die darauf hindeuten, dass Crowdfunding den Markt des Seed Capital zu-mindest demokratisiert, indem Innovationsfinanzierung auch außerhalb der üblichen Technologiezentren verfügbar ist. Somit ist zu hoffen, dass zukünftig mehr Ideen ortsunabhängig entstehen können, nicht jedes Start-up muss zwingend nach Palo Alto, Paris, Amsterdam oder Berlin.

CH: Von ‚Crowding-Out‘, d.h. der Verdrängung bestehender VC-Finanzierung im Seed-Bereich, zu sprechen ist noch zu früh, da für manche Deep Tech und eher softwaretypischen Gründungen Reward-Based Crowdfunding ungeeignet scheint. Man darf Investoren im Crowdfunding aber durchaus keine Naivität unterstellen, denn die Forschung zeigt, dass Crowdfunder die Güte – gezeigt am Beispiel von Kunst/Theater – so gut abschätzen wie Experten. Weiter möchten wir auch darauf hinweisen, dass Frauen mit Technologieideen im Crowdfunding überdurchschnittlich erfolgreich sind. Hier kommt das Phänomen der „activist choice homophily“ zu tragen, was besagt, dass Frauen gerne andere Frauen in eher typischen Männerdomänen unterstützen. Sofern ist schön zu sehen, dass Crowdfunding auch die Kraft hat, mögliche Gender Biases zu verringern.

GK: Vielen Dank, Jermain, vielen Dank, Christian, für eure Zeit und die spannenden Einblicke!

Quellen/weitere interessante Inhalte

  • Rose, S., Wentzel, D., Hopp, C. & Kaminski, J. (2021). Launching for success: The ef-fects of psychological distance and mental simulation on funding decisions and crowdfunding performance. Journal of Business Venturing, 36(3)
  • Kaminski, J. & Hopp, C. (2020). Predicting outcomes in crowdfunding campaigns with textual, visual, and linguistic signals. Small Business Economics, 55(4)
  • Kaminski, J., Hopp, C. & Tykvova, T. (2019). New technology assessment in entre-preneurial financing – Does crowdfunding predict venture capital investments? Technological Forecasting and Social Change, 139
  • Mollick, E., & Nanda, R. (2016). Wisdom or madness? Comparing crowds with ex-pert evaluation in funding the arts. Management Science, 62(6)
  • Sorenson, O., Assenova, V., Li, G. C., Boada, J., & Fleming, L. (2016). Expand innova-tion finance via crowdfunding. Science, 354(6319)
Finanzierungs-Case Study: NEOCARGO

Finanzierungs-Case Study: NEOCARGO

Finanzierungs-Case Study: NEOCARGO – die neutrale digitale Plattform für mittelständische Speditionsunternehmen

Die mittelständisch geprägte Logistikbranche in Deutschland muss seit Jahren vielfältigen Herausforderungen begegnen: das Zielbild des CO²-neutralen Transports, die durch Pandemie und Krieg strapazierten Lieferketten und der daraus resultierende Preisdruck auf Fuhrpark und Betriebsmittel (bspw. Diesel oder Paletten) belasten die Kostenseite, während Digital-Only-Player – wie Sennder, Instafreight und Forto – die Konkurrenzsitua-tion erhöhen.

In diesem Marktumfeld hat NEOCARGO Ende letzten Jahres erfolgreich eine Pre-Seed-Finanzierung von 2 EURm abgeschlossen. Unsere gemeinsame Reise umfasste insbesondere die Liquiditäts- und Finanzplanung, die Entwicklung der Equity Story und die Marktansprache sowie den Aufbau des Finanzbereichs.

NEOCARGO möchte eine digitale, neutrale Plattform aufbauen, die Dienstleister und Kunden der Logistikindustrie verbindet und die Grundlage für die Nutzung von Daten und digitale Plattform-Services ist. Standardisierte Dateninfrastrukturen und Schnittstellen sollen dabei zunächst den automatisierten Austausch von Auftragsdaten zwischen regelmäßig zusammenarbeitenden Speditionen ermöglichen. Danach sollen digitale Drittanbieter – wie Anbieter von Tracking- oder Prognose-Tools – angeschlossen werden, insbesondere um den aufbereiteten Datenhaushalt zu analysieren, zu visualisieren oder Kunden aufbereitet als smarte Zusatzleistung zur Verfügung zu stellen. In weiteren Schritten können spezialisierte Dienstleister, beispielweise Ladungsträgerhändler, eingebunden werden.

Kunden der NEOCARGO können also ihre Wirtschaftlichkeit erhöhen, indem sie auf Papier, Fax oder Telefon basierende Prozesse automatisieren. Gleichzeitig können sie Effi-zienzen durch das Reduzieren von Leerkapazitäten heben, welche nach gängigen Schätzungen noch rund 1/3 der Gesamtkapazitäten ausmachen.

Die Finanzierungsrunde weist insbesondere zwei Besonderheiten auf, die in anderen Finanzierungssituationen interessante Alternativen zum ‚Marktstandard‘ sein können:

Für Start-ups und Gründer

  • Die Gründung erfolgte in der Rechtsform der AG (anstelle der im Start-up-Umfeld gängigen GmbH oder UG) – es wurden vinkulierte Namensaktien ausgegeben und eine Obergrenze für Einzelaktionäre definiert
  • Das Kapital wurde von einer großen Gruppe strategischer Investoren (20+ Spedi-teure und 10+ Transportmanagementsystem -Anbieter) gestellt, die ebenfalls Pi-lotkunden der NEOCARGO sind – eine Finanzierung über Finanzinvestoren oder Business Angels erfolgte (zunächst) nicht

Im Ergebnis ist die Neutralität von NEOCARGO sichergestellt (da es keinen dominieren-den Eigentümer geben kann). Die Kunden des Unternehmens sind gleichzeitig seine (Minderheits-)Eigentümer und haben damit ein besonderes Interesse an seiner Ent-wicklung. Zusätzliche Kunden/ Eigentümer können weiterhin flexibel ergänzt oder aus-getauscht werden.

Das Marktumfeld des Unternehmens verspricht dynamisch zu bleiben, da auch wesent-liche etablierte Player Antworten auf die oben genannten Herausforderungen gesucht und gefunden haben. Das Speditionsnetzwerk CargoLine etwa initiierte Anfang 2021 mit Cargo Digital World einen Company Builder in Paderborn, der seine eigene digitale Spedition (CargoBoard) sowie Tracking- und digitale Fulfillment-Lösungen (CargoCast, Warenspace) hervorgebracht hat. Schenker bündelte Ende 2021 seine bestehenden Corporate Venture Capital-Aktivitäten im „Founding & Funding-Partner“ Schenker Ventures und investierte zuletzt in Warehousing1. Dachser und Rhenus gründeten – ebenfalls Ende letzten Jahres – mit weiteren hochkarätigen Partnern die Open Logistics Foundation, die digitale Industrie-Best-Practices in einem ‚Repository‘ open-source zur Verfügung stellt und Digitalisierungsprojekte im Stifterkreis durchführt.

Wir wünschen NEOCARGO – in diesem spannenden Umfeld – viel Erfolg bei den weiteren Schritten und bedanken uns für die gemeinsame Zeit!

Quellen/weitere interessante Inhalte

www.cargodigitalworld.com
www.neocargo.de
www.openlogisticsfoundation.org
www.schenker-ventures.com